von Danny » Fr 3. Jun 2016, 18:47
Bayern scheint so eine Art Bundesstaat im Bundesstaat zu sein, nur das die lokalen Eigenheiten und Feindschaften intensiver gepflegt werden als im Bund, wobei München innerhalb Bayerns wohl in etwa den Status hat den Bayern im Bund hat. Dazu ein paar lustige Zitate aus obigem Urteil bzgl. Stimmkreisneubildung, welche auf eine starke lokale Verwurzelung der Einwohner schliessen lassen: "Es handle sich um ein frei aller historischer und geografischer Bezüge [b]missbräuchlich geformtes Kunstgebilde[/b], das sich ausschließlich an arithmetischen Gesichtspunkten orientiere und Gemeinden ohne jegliche regionale oder sonstige Verankerung zuordne. [..] Der Zuschnitt dieses Stimmkreises sei willkürlich und verstoße gegen Art. 118 Abs. 1 BV. Er sei unter Vernachlässigung wesentlicher sachlicher Gesichtspunkte vorgenommen worden und stelle eine [b]„Vergewaltigung der oberfränkischen Landkarte“[/b] dar. Die Landkreise Wunsiedel i. Fichtelgebirge und Kulmbach wiesen demografisch, geografisch, ökonomisch [b]und auch ökologisch[/b] zu starke Unterschiede auf, um sie zu einem Stimmkreis zusammenzufassen. Auch die in der Rechtsprechung betonte [b]bevölkerungsmäßige Homogenität[/b] bestehe nicht. Die Landkreise grenzten zudem nicht aneinander, sondern seien nur über fünf, dem neuen Stimmkreis ebenfalls zugeschlagene Gemeinden des Landkreises Bayreuth verbunden. Einen sachlichen Grund für die Bildung dieser „Landbrücke“ zwischen dem durch die Täler des Weißen und des Roten Mains geprägten Landkreis Kulmbach einerseits und dem auf den Höhen des Fichtelgebirges gelegenen Landkreis Wunsiedel andererseits gebe es nicht. [..] Darüber hinausreichende Verbindungen in den Landkreis Kulmbach bestünden hingegen [b]weder landsmannschaftlich noch historisch oder wirtschaftlich[/b]. [..] Sie machen geltend, die „sogar rückwirkend terminierte“ Inkraftsetzung des Gesetzes und der zeitliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens verletzten das „[b]Recht auf rechtlichen Widerstand[/b]“. " Sicher keine leichte Aufgabe für das Verfassungsgericht über Stimmkreiszusammenlegungen zu entscheiden ohne lokale Rebellionen zu provozieren. Ich denke das erklärt auch zum Teil das einige sinnlos erscheinende Aspekte des Wahlrechts (zB Ausgleichsmandate nur innerhalb des Bezirks): man will sich einfach den Stress ersparen es zu ändern. Interessanterweise scheint es trotzdem so eine Art gesamtbayrische Loyalität zu geben, jedenfalls gegen den Rest der BRD und Österreich (quasi eine Art abgestufter Föderalrassismus). Das würde ich der CSU bzw. den Parteien zuschreiben, deren Dominanz vllt durchaus mit dem Wahlrecht zusammen hängt. Das bayr. Wahlrecht versucht offenbar widersprüchliche Ziele zu vereinen: Regionalvertretung und Gesamtvertretung, wobei das Ergebnis imho stärker zu den Regionen neigt als zB das Bundestagswahlrecht. Aspekt der Regionalisierung sind imho v.a.: 1. Direktmandate der Stimmkreise, was zu relativ Lokalloyalen Abgeordneten führen dürfte 2. Die gegenseitige Wählbarkeit der Stimmkreisbewerber aus der Nachbarschaft 3. Die Tatsache, dass der Landtag eigentlich eine Regierungsbezirkvertretung ist Dadurch gibt es imho drei Ebenen: 1. Lokale, d.h. kommunale Loyalität, durch die Direktmandate 2. Regierungsbezirksgebundene Loyalität, durch die gegenseitige Wählbarkeit mittels Zweitstimmen innerhalb eines Wahlkreises 3. Gesamtbayrische Loyalität durch die Existenz von Parteien und durch die 5% Hürde Eine Stellschraube zur Adjustierung der Balance ist imho die Anzahl der Direktmandate vs. den Listenmandaten, wobei letztere gleichzeitig Parteien und Bezirksloyalität begünstigen, die auf 50:50 festgeschrieben ist. Durch diese Vorschrift in der Verfassung wird eine imho sinnvollere Lösung des Stimmkreisproblems verhindert (die darin bestände die Stimmkreise so zu lassen wie sie waren und stattdessen die Anzahl der Listenmandate des Wahlkreises zu reduzieren). Ich würde auch erwarten, dass sich Parteien bilden deren einziger Zweck das Umgehen der 5% Hürde ist. Falls es sowas gibt, muss die CSU sehr aufpassen lokale Befindlichkeiten nicht zu sehr zu verletzen, weil die Stimmkreisabgeordneten dann einfach die Partei wechseln könnten. Martial: Parteienproporz entsteht in dem System ja nur indirekt darüber, dass die Anzahl der Wahlkreisemandate (ohne Ausgleichsmandate) bevölkerungsproportionale ist und innerhalb der Wahlkreise Parteienproporz besteht. Auch ohne Ausgleichsmandate entsteht dadurch Disproportionalität weil vielfach lokal gerundet wird auf die Anzahl der Wahlkreissitze. Verbundene Fragen: 1. Interessant wäre es zu wissen, inwieweit die Abgeordneten nun wirklich Lokal- bzw- Bezirksloyal vs. Parteienloyal sind. Anders gefragt: Gibt es in der Realität ein imperatives Mandat (wie im Rätesystem)? 2. Gibt es tatsächlich Formalparteien zum Umgehen der 5% Hürde? Passiert es gelgentlich, dass Abgeordnete erfolgreich die Partei wechseln? 3. Das Wahlrecht erlaubt sowohl Aufstellung durch lokale Mitgliederversammlungen als auch Aufstellung durch ein landesweites Parteiorgan. Wie macht es die CSU? 4. Ich gehe mal davon aus, dass sich der normale Bayer auch als Deutscher fühlt (trotz der anderen Sprache), aber fühlt er sich auch als BRD'ler oder haben zB Österreich und NRW den gleichen moralischen Status in der Weltsicht des Durchschnittsbayern? Ich denke damit hat es zutun, dass die CSU nicht bundesweit antreten will, obwohl sie aktuell wohl sehr gute Chancen hätte. 5. Ist die sehr effiziente Verwaltung von Bayern eher dem Katholizismus zuzuschreiben oder dem Preussentum der Ostflüchtlinge oder vllt der Konkurrenz der Systeme? Welche Religion haben eigentlich die Leute in München? 6. Setzt sich der Kulturkampf von Bismarck in Bayern fort, also können die Animositäten zB. zw. Franken und München vllt zum Teil mit dem Konflikt zw. Katholizismus und preuss. Protestantismus erklärt werden? Gibt es tatsächlich eine (unterscheidbare) fränkische Sprache und ist die Qualität der Wälder in Franken tatsächlich verschieden von denen in Oberbayern? (Eine Fränkin hat mal versucht mir den Unterschied zw. den Dialekte nahezubringen, aber ich kann nichtmal zuverlässig Bayrisch von Österreicherisch unterscheiden.) 7. Ist der unterschiedliche Bevölkerungszuwachs in Oberbayern vs. Franken auf unterschiedliches Paarungsverhalten zurückzuführen oder auf die unterschiedliche Migration von Ausländern? Insgesamt kann ich mir gut vorstellen, dass das Wahlrecht für den Erhalt der bayrischen Identität vs. Restdeutschland verantwortlich ist und dass Bayern v.a. deshalb das einzig ernsthaft eigenständige Bundesland ist. Mit dem Landeswahlrecht von NRW hätten sich die bundesweiten Parteien vermutlich schon lange durchgesetzt. Angesichts des wirtschaftlichen Erfolgs von Bayern vermute ich, dass das eine gute Sache ist, mglw. weil es das "quer-regieren" zw. den verschiedenen Ebenen reduziert und verhindert, dass obere Ebenen immer mehr Kompetenzen an sich ziehen. Ohne guten Grund sollte man das System nicht ändern, zumal das Stimmkreisproblem wohl selbstverschuldet ist, also dadurch entstanden ist, dass man zuwenig Kinder bekommen hat, was auch eine entsprechende Lösung nahelegt (und dem ist man sich wie man dem Urteil entnehmen kann wohl auch bewusst). Sinnvoll wäre aber imho, dass die Regierungsbezirke eigenständig über ihre Stimmkreisgliederung entscheiden. Dazu benötigt man aber keine rechtliche Änderung sondern nur etwas mehr Selbstdisziplin in der CSU. Ausserdem find ich den Lokalrassismus sehr unterhaltsam, weshalb wohl auch StG (http://blogs.faz.net/stuetzen/2015/07/10/oesterreichische-sklaven-oder-wie-die-csu-lernt-den-griechischen-schuldenschnitt-zu-lieben-5398/ ) mittlerweile einer meiner Lieblingsblogs geworden ist. Interessanterweise scheint das auch nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu führen, wie man ja sonst nicht müde wird zu behaupten, sondern vielmehr zu gesunder Konkurrenz.
Bayern scheint so eine Art Bundesstaat im Bundesstaat zu sein, nur das die lokalen Eigenheiten und Feindschaften intensiver gepflegt werden als im Bund, wobei München innerhalb Bayerns wohl in etwa den Status hat den Bayern im Bund hat. Dazu ein paar lustige Zitate aus obigem Urteil bzgl. Stimmkreisneubildung, welche auf eine starke lokale Verwurzelung der Einwohner schliessen lassen: "Es handle sich um ein frei aller historischer und geografischer Bezüge [b]missbräuchlich geformtes Kunstgebilde[/b], das sich ausschließlich an arithmetischen Gesichtspunkten orientiere und Gemeinden ohne jegliche regionale oder sonstige Verankerung zuordne. [..] Der Zuschnitt dieses Stimmkreises sei willkürlich und verstoße gegen Art. 118 Abs. 1 BV. Er sei unter Vernachlässigung wesentlicher sachlicher Gesichtspunkte vorgenommen worden und stelle eine [b]„Vergewaltigung der oberfränkischen Landkarte“[/b] dar. Die Landkreise Wunsiedel i. Fichtelgebirge und Kulmbach wiesen demografisch, geografisch, ökonomisch [b]und auch ökologisch[/b] zu starke Unterschiede auf, um sie zu einem Stimmkreis zusammenzufassen. Auch die in der Rechtsprechung betonte [b]bevölkerungsmäßige Homogenität[/b] bestehe nicht. Die Landkreise grenzten zudem nicht aneinander, sondern seien nur über fünf, dem neuen Stimmkreis ebenfalls zugeschlagene Gemeinden des Landkreises Bayreuth verbunden. Einen sachlichen Grund für die Bildung dieser „Landbrücke“ zwischen dem durch die Täler des Weißen und des Roten Mains geprägten Landkreis Kulmbach einerseits und dem auf den Höhen des Fichtelgebirges gelegenen Landkreis Wunsiedel andererseits gebe es nicht. [..] Darüber hinausreichende Verbindungen in den Landkreis Kulmbach bestünden hingegen [b]weder landsmannschaftlich noch historisch oder wirtschaftlich[/b]. [..] Sie machen geltend, die „sogar rückwirkend terminierte“ Inkraftsetzung des Gesetzes und der zeitliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens verletzten das „[b]Recht auf rechtlichen Widerstand[/b]“. " Sicher keine leichte Aufgabe für das Verfassungsgericht über Stimmkreiszusammenlegungen zu entscheiden ohne lokale Rebellionen zu provozieren. Ich denke das erklärt auch zum Teil das einige sinnlos erscheinende Aspekte des Wahlrechts (zB Ausgleichsmandate nur innerhalb des Bezirks): man will sich einfach den Stress ersparen es zu ändern. Interessanterweise scheint es trotzdem so eine Art gesamtbayrische Loyalität zu geben, jedenfalls gegen den Rest der BRD und Österreich (quasi eine Art abgestufter Föderalrassismus). Das würde ich der CSU bzw. den Parteien zuschreiben, deren Dominanz vllt durchaus mit dem Wahlrecht zusammen hängt. Das bayr. Wahlrecht versucht offenbar widersprüchliche Ziele zu vereinen: Regionalvertretung und Gesamtvertretung, wobei das Ergebnis imho stärker zu den Regionen neigt als zB das Bundestagswahlrecht. Aspekt der Regionalisierung sind imho v.a.: 1. Direktmandate der Stimmkreise, was zu relativ Lokalloyalen Abgeordneten führen dürfte 2. Die gegenseitige Wählbarkeit der Stimmkreisbewerber aus der Nachbarschaft 3. Die Tatsache, dass der Landtag eigentlich eine Regierungsbezirkvertretung ist Dadurch gibt es imho drei Ebenen: 1. Lokale, d.h. kommunale Loyalität, durch die Direktmandate 2. Regierungsbezirksgebundene Loyalität, durch die gegenseitige Wählbarkeit mittels Zweitstimmen innerhalb eines Wahlkreises 3. Gesamtbayrische Loyalität durch die Existenz von Parteien und durch die 5% Hürde Eine Stellschraube zur Adjustierung der Balance ist imho die Anzahl der Direktmandate vs. den Listenmandaten, wobei letztere gleichzeitig Parteien und Bezirksloyalität begünstigen, die auf 50:50 festgeschrieben ist. Durch diese Vorschrift in der Verfassung wird eine imho sinnvollere Lösung des Stimmkreisproblems verhindert (die darin bestände die Stimmkreise so zu lassen wie sie waren und stattdessen die Anzahl der Listenmandate des Wahlkreises zu reduzieren). Ich würde auch erwarten, dass sich Parteien bilden deren einziger Zweck das Umgehen der 5% Hürde ist. Falls es sowas gibt, muss die CSU sehr aufpassen lokale Befindlichkeiten nicht zu sehr zu verletzen, weil die Stimmkreisabgeordneten dann einfach die Partei wechseln könnten. Martial: Parteienproporz entsteht in dem System ja nur indirekt darüber, dass die Anzahl der Wahlkreisemandate (ohne Ausgleichsmandate) bevölkerungsproportionale ist und innerhalb der Wahlkreise Parteienproporz besteht. Auch ohne Ausgleichsmandate entsteht dadurch Disproportionalität weil vielfach lokal gerundet wird auf die Anzahl der Wahlkreissitze. Verbundene Fragen: 1. Interessant wäre es zu wissen, inwieweit die Abgeordneten nun wirklich Lokal- bzw- Bezirksloyal vs. Parteienloyal sind. Anders gefragt: Gibt es in der Realität ein imperatives Mandat (wie im Rätesystem)? 2. Gibt es tatsächlich Formalparteien zum Umgehen der 5% Hürde? Passiert es gelgentlich, dass Abgeordnete erfolgreich die Partei wechseln? 3. Das Wahlrecht erlaubt sowohl Aufstellung durch lokale Mitgliederversammlungen als auch Aufstellung durch ein landesweites Parteiorgan. Wie macht es die CSU? 4. Ich gehe mal davon aus, dass sich der normale Bayer auch als Deutscher fühlt (trotz der anderen Sprache), aber fühlt er sich auch als BRD'ler oder haben zB Österreich und NRW den gleichen moralischen Status in der Weltsicht des Durchschnittsbayern? Ich denke damit hat es zutun, dass die CSU nicht bundesweit antreten will, obwohl sie aktuell wohl sehr gute Chancen hätte. 5. Ist die sehr effiziente Verwaltung von Bayern eher dem Katholizismus zuzuschreiben oder dem Preussentum der Ostflüchtlinge oder vllt der Konkurrenz der Systeme? Welche Religion haben eigentlich die Leute in München? 6. Setzt sich der Kulturkampf von Bismarck in Bayern fort, also können die Animositäten zB. zw. Franken und München vllt zum Teil mit dem Konflikt zw. Katholizismus und preuss. Protestantismus erklärt werden? Gibt es tatsächlich eine (unterscheidbare) fränkische Sprache und ist die Qualität der Wälder in Franken tatsächlich verschieden von denen in Oberbayern? (Eine Fränkin hat mal versucht mir den Unterschied zw. den Dialekte nahezubringen, aber ich kann nichtmal zuverlässig Bayrisch von Österreicherisch unterscheiden.) 7. Ist der unterschiedliche Bevölkerungszuwachs in Oberbayern vs. Franken auf unterschiedliches Paarungsverhalten zurückzuführen oder auf die unterschiedliche Migration von Ausländern? Insgesamt kann ich mir gut vorstellen, dass das Wahlrecht für den Erhalt der bayrischen Identität vs. Restdeutschland verantwortlich ist und dass Bayern v.a. deshalb das einzig ernsthaft eigenständige Bundesland ist. Mit dem Landeswahlrecht von NRW hätten sich die bundesweiten Parteien vermutlich schon lange durchgesetzt. Angesichts des wirtschaftlichen Erfolgs von Bayern vermute ich, dass das eine gute Sache ist, mglw. weil es das "quer-regieren" zw. den verschiedenen Ebenen reduziert und verhindert, dass obere Ebenen immer mehr Kompetenzen an sich ziehen. Ohne guten Grund sollte man das System nicht ändern, zumal das Stimmkreisproblem wohl selbstverschuldet ist, also dadurch entstanden ist, dass man zuwenig Kinder bekommen hat, was auch eine entsprechende Lösung nahelegt (und dem ist man sich wie man dem Urteil entnehmen kann wohl auch bewusst). Sinnvoll wäre aber imho, dass die Regierungsbezirke eigenständig über ihre Stimmkreisgliederung entscheiden. Dazu benötigt man aber keine rechtliche Änderung sondern nur etwas mehr Selbstdisziplin in der CSU. Ausserdem find ich den Lokalrassismus sehr unterhaltsam, weshalb wohl auch StG (http://blogs.faz.net/stuetzen/2015/07/10/oesterreichische-sklaven-oder-wie-die-csu-lernt-den-griechischen-schuldenschnitt-zu-lieben-5398/ ) mittlerweile einer meiner Lieblingsblogs geworden ist. Interessanterweise scheint das auch nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu führen, wie man ja sonst nicht müde wird zu behaupten, sondern vielmehr zu gesunder Konkurrenz.