Verfassungswidriges Verfassungsrecht: hypothetisch

Martial00120
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Verfassungswidriges Verfassungsrecht: hypothetisch

Beitrag von Martial00120 »

Mir ist folgende Idee gekommen. Wenn in der bayerischen Verfassung stehen würde. Der Landtag besteht aus maximal 180 Sitzen, wobei jedem Wahlkreis (Regierungsbezirk) mindestens 18 Sitze zustehen, ohne dass Ausgleichsmandate an andere Bezirke fallen. Wäre dass dann verfassungswidriges Verfassungsrecht? Oder wie wäre es rechtlich angreifbar? Zahlenbespiel Die Abweichung dieser Sitzzahl von der Sitzzahl nach Bevölkerungsanteil wäre dann (gerechnet auf Basis Wahlberechtigte 2013): Oberbayern 58 statt 61 Oberpfalz 18 statt 16 Oberfranken 18 statt 16 Schwaben 25 statt 24 Hier gibt es einen sachverwandten Bericht, der selbstverständlich bei Mindestzahl für einzelne Regierungsbezirke Ausgleichsmandate vorsieht: https://www.stmi.bayern.de/assets/stmi/suk/wahlen/erg%C3%A4nzender_bericht.pdf
Martial00120
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Verfassungswidriges Verfassungsrecht: hypothetisch

Beitrag von Martial00120 »

Schon beantwortet im beiliegenden Bericht der Staatsregierung, S.16 ff. https://www.stmi.bayern.de/assets/stmi/suk/wahlen/erg%C3%A4nzender_bericht.pdf (2) Die Festschreibung einer Mindestmandatszahl in jedem Wahlkreis ohne gleichzeitige Erhöhung der Gesamtmandatszahl würde das Anliegen einer Verstärkung der Regionalisierung der Wahl höher gewichten als die Einhaltung der Grundsätze der gleichen Wahl. Diese Gewichtung würde ungeachtet einer Verankerung der Regelung in der Verfassung selbst verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs besteht innerhalb der Verfassung selbst eine Rangordnung der einzelnen Verfassungsnormen mit der Folge, dass eine höherrangige Verfassungsnorm zum Maßstab für eine andere Verfassungsnorm, der dieser Rang nicht zukommt, genommen werden kann (VerfGH 11, 127). Das Gericht zählt hierzu den Gleichheitssatz als Willkürverbot und Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Der Gleichheitssatz gehöre zu den elementaren Verfassungssätzen, die Ausdruck eines der Verfassung vorausliegenden Rechts seien und damit auch den Verfassungsgeber selbst binden. Zugleich zähle er zu den demokratischen Grundgedanken der Verfassung im Sinne des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV (VerfGH 27, 153/158 f. m.w.Nachw.). Im Bereich des Wahlrechts habe der allgemeine Gleichheitssatz durch den Grundsatz der gleichen Wahl (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV), der ebenfalls Grundrechtscharakter habe, eine besondere Konkretisierung erfahren. Der Grundsatz der Wahlgleichheit nehme jedenfalls insoweit, als er in seiner konkreten Ausprägung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz übereinstimme, am überpositiven Rechtscharakter des Gleichheitssatzes teil (VerfGH 27, 153/159). Darüber hinaus ist der Grundsatz der Wahlgleichheit auch durch das Grundgesetz vorgegeben, über den sich der Landesverfassungsgeber nicht hinwegsetzen darf. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk in den Ländern eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Das Grundgesetz bindet damit die Länder an die fünf Wahlrechtsgrundsätze (BVerfGE 60, 167 m.w.Nachw.; BVerfGE 99, 1/11 f.), also auch an die Wahlgleichheit.
Martial00120
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Beitrag von Martial00120 »

zur prozessualen Zulässigkeit auch hier ein passendes Urteil (spannend unter Abschnitt IV. Zulässigkeit): http://www.bayern.verfassungsgerichtshof.de/9-VII-04-Entscheidung.htm
Ratinger Linke
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Beitrag von Ratinger Linke »

Martial00120
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Beitrag von Martial00120 »

Ah' gut zu wissen, gibt es andere Wahlrechtsentscheidungen, die Gebrauch von verfassungswidrigem Verfassungsrecht machen? Mindestsitze finde ich doof und kapiere die Aufregung auch nicht. Die Gleichheit der Wahl ist doch eine Errungenschaft, die man nicht gefährden sollte durch kleinliche Regionalbetrachtung. Und das von FW und Grünen eingeholte Gutachten mit 5% -> Sitzzahl mindestens 20 ist absolut lachhaft. Wo ist siehst du die Verzerrung des bayerischen Wahlrechts? Meinst du die bezirksweise Ausgleichsmandate? Die Gliederung in 7 Wahlkörper finde ich persönlich ziemlich gut, wobei ich Oberbayern zwei- oder dreiteilen würde. Das hätte leider noch mehr Überhangmandate zur Folge
Ratinger Linke
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Beitrag von Ratinger Linke »

Martial00120
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Beitrag von Martial00120 »

Ah', gut, hast du eine Quelle für Berlin? Und was für BW, zufälligerweise?... Wie stark ist da die Kohäerenz zwischen den Ländern, es gilt wohl meist bei solchen Fragen Bayern gegen den Rest, oder? Verzerrend finde ich zu streng als Begriff, falls keine Überhangmandate vorliegen und kein d'Hondt. Da wird der Begriff entwertet. Verzerrung ist z.B. Brasilien, wo im Parlament kein Staat über 70 Sitze und weniger als 8 haben darf, was Sao Paolo an die 40 Sitze kostet... Oder auch Schweiz mit 26x D'Hondt, ... Was die Enquetekommission spricht, ist interessant, aber von der Wahlrechtsgleichheit wird Bayern sicher keinen Abstand nehmen.
Danny
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Verfassungswidriges Verfassungsrecht: hypothetisch

Beitrag von Danny »

RL: Wieso? Regionalisierung bekommt man doch im Prinzip mit Ausgleichsmandaten ziemlich schonend hin wenn man es vernünftig macht. Also jedenfalls bzgl. dem Parteienproporz und Stimmwert. Abstrakt hast du natürlich Recht. Eigentlich sollte man das Problem umgehen indem man die Ebenen Regionalrepräsentation und Volksrepräsentation trennt; im Prinzip ist das wohl auch so gedacht gewesen mit dem Bundesrat; nur wird der leider zunehmend unwichtiger. Martial: Die Hauptverzerrung ist beim aktuellem Wahlrecht wohl, dass man nur lokale Kandidaten wählen kann mit der Erststimme. Was das für Auswirkungen hat kann man eigentlich garnicht mehr quantitativ beschreiben. Das Ergebnis ist aber sicher erheblich anders als mit einem Einheitswahlkreis.
Ratinger Linke
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Beitrag von Ratinger Linke »

Martial00120
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Beitrag von Martial00120 »

@Danny Ich bin an einem Langzeitprojekt, die vielfältigen Nebenwirkungen des Bayernwahlrechts zu beschreiben, insbesondere auch dass man mit der Erststimme nur lokale Kandidaten wählen kann. Welche Auswirkungen siehst du? @RL Bin überz
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