Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
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Hadrian Silberer
Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Hallo zusammen. Mir ist beim Duchstöbern eurer schönen Internetseite folgendes aufgefallen: Bei der bayerischen Landtagswahl wird ja von vornherein die Zahl der Abgeordneten pro Wahlkreis festgelegt (von Überhang- Ausgleichsmandaten abgesehen). Artikel 14 der bayerischen Verfassung besagt aber: "Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach einem verbesserten Verhältniswahlrecht von allen wahlberechtigten Staatsbürgern in Wahlkreisen und Stimmkreisen gewählt." Wenn aber die Wahlbeteiligung die Mandatsverteilung nicht berührt, so übte doch ein mittelfränkischer Wähler mehr Einfluß aus als ein oberbayerischer, wenn noch ein zweiter Oberbayer zur Wahl geht. Denn die Entscheidungsgewalt über die oberbayerischen Mandate verteilt sich auf mehr Wähler, als es proportional dazu in Mittelfranken der Fall ist. Bei solch unterschiedlich gewichtigen Stimmen kann man nach meiner Ansicht eigentlich nicht mehr von einer Gleichheit der Wahl sprechen. Es heißt in Artikel 14 aber auch: "Je Wahlkreis darf höchstens ein Stimmkreis mehr gebildet werden als Abgeordnete aus der Wahlkreisliste zu wählen sind." Die Abgeordneten pro Wahlkreis sind also auch dort schon vorgesehen. Ist euch vielleicht bekannt, daß in dieser Sache einmal vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt wurde?
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Lars Tietjen
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Leider kenne ich mich mit den bayerischen Wahlrecht nicht so aus. Es gab mal eine Klage gegen die Anwendung von d'Hondt in Bayern. Durch die Anwendung in jeden Wahlkreis war aus Sicht des Gerichtes die Verzerrung zu groß. In dem Urteil mag man Hinweise zu den auch hier zu verwendenen Maßstäben finden. Es gibt in Bremen ein ähliches Problem. Dort sind die Mandate zwischen den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven fest erteilt. Dazu gibt es eine Entscheidung des bremischen Staatsgerichshofes über die Zulässigkeit (und die Grenzen der Zulässigkeit) [http://www2.bremen.de/staatsgerichtshof/Kap4/e04_02.pdf].
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juwie
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Eher sind die verbundenen Landeslisten bei der BTW ungewöhnlich. Bayern entspricht hier wohl eher den weltweit üblichen "Standards". Ein Problem bestünde höchstens, wenn die Wahlkreisgrößen nicht angepasst würden. Tatsächlich ist es wohl so, dass die Unverbundenheit der Listen den größeren Verzerrungseffekt hat als das Zuteilungsverfahren (zumindest war das bei der Landtagswahl 1990 so, ich habe das mal ausgerechnet).
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Matthias Cantow
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
@Lars Die Klage gegen die siebenfache Anwendung von d'Hondt ist am 24. April 1992 vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof - Vf.5-V-92 - (VerfGHE BY 45, 54) (hier leider noch nicht im Volltext, kommt nach der Wahl im Herbst). @Hadrian
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Hadrian Silberer
Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Danke miteinander, das hilft mir wirklich weiter. Der Bremer Staatsgerichtshof begründet die Billigung der Ungleichheit der Wahl mit den gewachsenen Traditionen der Bremer Verfassung. Ob sich solch ein System auch auf Bundesebene durchsetzen ließe, wenn man auf die Jahrhunderte alten förderalen Strukturen Deutschlands hinweisen würde?
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Matthias Cantow
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
"Ob sich solch ein System auch auf Bundesebene durchsetzen ließe, wenn man auf die Jahrhunderte alten förderalen Strukturen Deutschlands hinweisen würde?" Wenn es sich um die Wahl eines föderalen Organs handeln würde, warum nicht. Die Mitglieder des einzigen Organs dieser Art in Deutschland werden allerdings schon in den Ländern gewählt. Der Bundestag ist aber ein unitarisches Organ, es gibt keinen Grund, Wähler in Konstanz anders zu behandeln als in Kiel (auch wenn es das bei Bundestagswahlen schon gab).
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juwie
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@Hadrian Verbundene Landeslisten gibt es auch bei der Wahl zum Deutschen Bundestag erst seit 1957.
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Ratinger Linke
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Mit der heutigen Entscheidung zur Stimmkreisreform (ziemlich gut begründet übrigens) hat der bayrische Verfassungsgerichtshof nebenbei auch deutlich gemacht, dass ein Verhältnisausgleich inzwischen nicht mehr verfassungsgemäß wär, weil er negatives Stimmengewicht verursacht. In Bayern kommen Lösungen wie interne Kompensation sicher nicht infrage, weil die Wahlkreise (= Bezirke) in der Verfassung grundsätzlich als eigenständige Wahlkörper garantiert sind. Allerdings hat das bayrische Wahlsystem trotzdem negatives Stimmengewicht. Um das zu beseitigen, müsste man noch die Ausgleichsmandate streichen oder die Erststimme wertlos machen und Hare/Niemeyer durch Sainte-Laguë ersetzen. @Matthias Cantow: Es wär grad wieder Herbst Vf.5-V-92 (VerfGHE BY 45, 54) wär sicher ein schönes Urteil in der Sammlung, das es leider bis heute nirgends online gibt.
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Werner Fischer
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
Negatives Stimmrecht wird nur dort zu einem Problem, wo es vom Wähler kalkuliert werden kann. In Dresden war das z.B. der Fall, weil das Bundestagswahlrecht eine zeitlich abweichende Stimmabgabe für einzelne Wahlkreise zulässt. Da sollte man ansetzen, wie ich den Bundestagsfraktionen u. a. mitgeteilt habe. Bayern hat ein grundsätzlich anders konzipiertes Wahlrecht. Ein evtl. existierendes negatives Stimmrecht kann hier nicht zu Änderungen im Wahlverhalten führen. Z. B. wird sich sicher kein Wähler bei der Stimmabgabe mit dem Gedanken beschäftigen, die CSU könnte die 5%-Hürde nicht schaffen, obwohl auch das theoretisch möglich wäre.
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El Tres
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Ist das bayerische Landeswahlrecht verfassungswidrig?
"Negatives Stimmrecht wird nur dort zu einem Problem, wo es vom Wähler kalkuliert werden kann. In Dresden war das z.B. der Fall, weil das Bundestagswahlrecht eine zeitlich abweichende Stimmabgabe für einzelne Wahlkreise zulässt." Die Nachwahl hat das Problem des negativen Stimmrechts nur offensichtlich gemacht. Eine Nachwahl oder eine Wiederholungswahl ist unabhängig vom Wahlrecht immer problematisch, weil der Wähler bei der Nachwahl einen Informationsvorsprung hat. Siehe zum Beispiel die 27.6%, welche die Bürger in Wut im Stimmbezirk Freizeittreff Eckernfeld bei der Wiederholungswahl 2008 zur Bremischen Bürgerschaftswahl 2007 hatte. Das negative Stimmrecht ist dagegen auch bei regulären Wahlen relevant, weil es eben vom Wähler durchaus kalkuliert werden kann (siehe die bekannten Tipps: http://www.wahlrecht.de/bundestag/2009/parteien.html). Nur, wenn man davon ausgehen könnte, dass der Wähler keine Ahnung vom Ausgang der Wahl hat, wäre das negative Stimmrecht kein Problem. Das ist höchst unrealistisch. Nebenbei ist das Vorwissen des Wählers für mich auch ein Problem der Sperrklausel: Dem Wähler glaubt zu wissen, dass die Kleinparteien sowieso keine Chance auf den Einzug haben, also wählt er sie nicht. Die Sperrklausel hat also gar nicht die beabsichtigte Wirkung -- die Regierungsbildung zu fördern -- sondern vielmehr die Wirkung, kleine Parteien klein zu halten.